Ohne ihn wäre da nicht dieses Wunder in meinem Bauch: mein Freund. Der Mann, von dem ich ziemlich bald wusste, dass er der Richtige für mich ist und es mit ihm passt. Da war mir allerdings noch nicht bewusst, wie sehr es passen muss, wenn man ein gemeinsames Kind erwartet. Stichwort: Hämorrhoiden-Salbe an Stellen, die man irgendwann selbst nicht mehr erreicht, Haar-Entfernung an Stellen, die man irgendwann selbst nicht mehr erreicht, Ultraschall-Untersuchungen, die anfangs nicht über den Bauch gemacht werden, Stellungen, in die man allein hinein-, aber nicht mehr allein hinausfindet, … Dazu ein anderes Mal …
Ich kann’s nicht an einer bestimmten Situation festmachen, wo ich gespürt habe, dass ich bei ihm bleiben will. Es sind so viele kleine Augenblicke, die mich überzeugt sein lassen, dass er der für mich Richtige ist.
Einer der Momente war es auf jeden Fall, als ich ihn das erste Mal daheim besucht habe. Ich war irrsinnig aufgeregt. Immerhin offenbart sich bei so einer Premiere alles: Ist das Klo sauber? Hat er Lebensmittelmotten? Und Geschmack, was die Einrichtung betrifft? Riecht’s gut in der Wohnung? Und ist das Bett frisch überzogen? In dem Fall war’s ein klares ja, nein, ja, ja, ja. Jackpot!
… und eigentlich weine ich sogar ziemlich gerne.
Ich saß etwas unbeholfen bei ihm am Küchentisch, als ich einen Anruf von einer Kollegin/Freundin bekam.
„Hey!“
„Hey, du, ich muss dir was sagen.“
„Okay?!“
„Ich wollte es dir ja persönlich sagen, aber du, ich muss es loswerden. Ich habe gekündigt.“
„Was?“
„Bitte heul nicht, sonst muss ich … Du, ich hab gesagt, heul nicht. Super, ich heule.“
„Ich heul doch gar nicht.“
„Ich schon.“
„Okay, ich auch gleich.“
Noch schaffte ich es aber, es nicht zu tun. Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der schnell, viel und oft weint. Und ich steh dazu. Ich heule im Kino, ich heule auf Konzerten, ich heule aus Frust, aus Freude, ich heule manchmal, ohne zu wissen, warum. Und eigentlich weine ich sogar ziemlich gerne. Hat was Befreiendes. Reinigendes. Aber bitte nicht jetzt. Nicht vor ihm. Es war eines unserer ersten Dates. Allein die Vorstellung: Ich an seinem Küchentisch plärre, weil eine Kollegin von mir gekündigt hat. Eine Kollegin, die sich in den letzten zehn Jahren zu einer guten Freundin entwickelt hat. Aber trotzdem. Ich wollte nicht, dass er glaubte, ich sei komisch. Zumindest noch nicht. Ha ha.
Er hat keinen Spontan-Durchfall vorgespielt. Und ich wusste: Das hat Potential!
Als sie aufgelegt hatte, fragte er mich: „Was ist denn los? Du wirkst bedrückt.“ Mehr hat’s nicht gebraucht. 3, 2, 1 und schon weinte ich. Als ich mir vorstellte, was für ein erbärmliches Bild ich abgab, drückte es mir noch mehr Tränen aus den Augen. Das war’s jetzt bestimmt mit uns. In einer halben Stunde würde er mir irgendwas von „Je suis désolé, aber Notfall in der Firma“ oder „Merde, merde, Spontan-Durchfall“ erzählen, mich nach Hause schicken und sich nie wieder melden.
„Sollen wir den Rotwein aufmachen?“, sagte er stattdessen. Ich nickte. Es war 14 Uhr und wir tranken unser erstes Glas. Und ich war mir einmal mehr sicher: „Ja, ja, ja! Das ist der Richtige!“
Am Abend servierte er uns zur mittlerweile zweiten Flasche Wein einen Teller mit Käse-Variationen. Keine Ahnung, welche Sorten es waren, aber sie rochen allesamt ziemlich stark, aber schmeckten wirklich gut. Wir saßen jetzt im Wohnzimmer auf der Couch, als es geschah.
Überall: Auf der neuen Couch, einem stoffbezogenen Hocker, dem Sofatisch und einem kotzgelben Teppich, …
Ich mach’s kurz, weil es mich noch immer körperlich und emotional schmerzt vor lauter Peinlichkeit, wenn ich daran denke: Ich wollte nach einem Stück Käse greifen, hatte natürlich mein Weinglas in der anderen Hand (VOLL!), weil wieso sollte ich es zwischendurch auch mal abstellen!? Bämm, buff, bang: Ich verschüttete den Rotwein. Das ganze volle Glas. Natürlich nicht auf einer Sache, sondern ÜBERALL: auf der neuen Couch (die IKEA ihm zwei Tage zuvor geliefert hatte), einem stoffbezogenen Hocker, dem Sofatisch und einem kotzgelben Teppich. Das Schlimme daran: Der Teppich war so hässlich, dass ich kurz Angst hatte, er könnte glauben, ich hätte den Wein absichtlich darüber geleert. Und ehrlich: Es wäre mir nicht zu verübeln gewesen. Kotzgelb. Maiskotzgelb.
„Halb so wild“, sagte er und drückte mir Küchenrolle in die Hand. So wischten wir beide vor uns hin. Er lachte, ich starb vor Scham. Insgeheim betete ich, dass er das mit mir noch nicht ganz abgehakt hatte. Und wieder dachte ich mir: „Ja, ja, ja!! Das ist der Richtige!“
Spoiler: Er hat uns nicht abgehakt. Obwohl, sagt er jetzt, es an Blasphemie grenzt, vor einem Franzosen teuren, guten Rotwein zu verschütten. Ich verkaufe es mittlerweile als Test und sage, dass ich sehen wollte, wie er reagiert.
Übrigens, das Allerschlimmste kommt erst: Der Fleck ging aus dem Teppich raus. Kein Grund also, das scheußliche Ding wegzuschmeißen. Naja.