Ein Fall für die Versicherung: Wie Pamela Reif mir fast eine Klage einbrachte

Lockdown Nummer Ich-hab-keine-Ahnung: Ich habe Home Workouts für mich entdeckt. Entweder Schnurspringen im Hof oder Pamela Reif-HIIT-Turnstunden daheim vorm Fernseher. Burpees, Mountain Climbers, Sit Ups – das volle Programm. Und danach: sterben. Wer einmal ein PF-Programm durchgezogen hat, weiß, wovon ich spreche …

Noch 20 Sekunden durchhalten. 19, 18, 17, … Weitermachen! 16, 15, 14, … Gleich geschafft. 13, 12, … Es läutet an der Tür. Ich ignoriere es. 11, 10, … Wieder.

Völlig verschwitzt, mit tomatenrotem Kopf und oben ohne, also im Sport-BH, lief ich zur Tür und öffnete. Vor mir stand mein Nachbar aus dem unteren Stock. Er war auch oben ohne – tatsächlich. Er trug zwar ein Hemd, das war aber nicht zugeknöpft und seine Riesenwampe präsentierte sich ordinär zwischen den Stoffteilen.

Sind das noch Burpees oder schon Erdbeben?

„Wir müssen reden“, eröffnete er das Gespräch.
„Aha“, antwortete ich, „Worüber?“
„Wie ich sehe, haben Sie gerade Sport gemacht.“
„Ja“, erwiderte ich.
„Das ist das Problem.“
„Wie bitte?“
„Wenn Sie turnen, ist bei uns ein Erdbeben. Alles wackelt und wir müssen die Vitrinen festhalten, damit das gute Geschirr nicht rausfällt und kaputt geht.“
„Bitte wie?“
„Sicher Stärke 4 bis 5.“
„Okay.“
„Könnten Sie es deshalb in Zukunft bitte unterlassen, in Ihrer Wohnung zu springen.“
„Sicher“, sagte ich und ergänzte innerlich ein „nicht“, das ich aber des Friedens Willen nicht aussprach. Außerdem war ich zugegeben ziemlich irritiert: Schaffte ich es tatsächlich, ein Erdbeben auszulösen? Und falls ja, was war es dann: Eine Superpower, von der ich bisher nichts wusste, oder eine absolute Katastrophe?

Drei Wochen später …

Ich habe mit meinen Workouts natürlich weitergemacht, allerdings ziemlich befangen. Die Sprung-Übungen ließ ich seit dem Zwischenfall mit dem Nachbarn fast alle aus. Und scheinbar waren meine Workouts sanft genug, um ihn nicht mehr zu stören. Immerhin war er seitdem nicht mehr bei mir aufgetaucht. Bis jetzt … 

„Leider komme ich mit sehr unerfreulichen Nachrichten zu Ihnen“, begrüßte er mich dieses Mal.
Ich starrte ihn mit großen Augen an. Was, in Gottes Namen, war es jetzt? Hatte er herausgefunden, dass ich am Untergang der Titanic Schuld war? Gab es Corona wegen mir?
„Sie bringen die Decke zum Einsturz.“
„Bitte was?“
„Sie bringen mit Ihren Gymnastikübungen die Decke zum Einsturz.“
„Das habe ich schon verstanden. Aber: Bitte was?“
„Meine Holzdecke kommt runter, seit Sie Ihre Workouts machen. Ich habe einen Tischler beauftragt. Darf ich ihn mit Ihnen verbinden wegen der Rechnung.“
„Ähm, nein?“
„Sie können es dann eh bei Ihrer Versicherung einreichen.“

Die Diskussion endete jedenfalls damit, dass er mir mit einer Anzeige drohte, würde ich den Fall nicht meiner Versicherung vorbringen. Und weil ich ab einem gewissen Punkt – ziemlich von Anfang an – nicht wusste, was ich auf all das sagen sollte, willigte ich ein und schrieb eine E-Mail:

Lieber Herr Soundso, mein Nachbar behauptet, ich würde seine Decke mit ein paar Burpees zum Einsturz bringen. Ich bezweifle es. Ich habe 66 Kilo. Das wird das Haus hoffentlich aushalten!? Er droht mit einer Klage, wenn ich Sie nicht mit dem Fall betraut mache, was ich hiermit getan habe. Es tut mir leid, dass Sie dieses E-Mail lesen müssen und ich Ihnen drei Minuten Ihrer Zeit verschwendet habe.
Alles Liebe, Kathi Domiter

Ich bekam folgende Antwort von meiner Versicherung:

Sehr geehrte Frau D., er muss bitte ein Anspruchsschreiben schicken. LG, Herr Soundso

„Bitte schicken Sie einen Sachverständiger vorbei …“

Das tat er dann auch mit folgendem Inhalt:

Am Soundsovielten bemerkten meine Gattin und ich, dass die Zwischendecke in unserem Wohnzimmer in Teilbereichen durchhing und sich vermutlich von der Unterkonstruktion gelöst hatte. Um weitere Schäden zu vermeiden, stützten wir die Decke unmittelbar nach dem Feststellen des Schadens mit Stehern ab.
Zur Vorgeschichte: Einige Wochen vorher begann Frau D. in ihrem Wohnzimmer mit Gymnastikübungen (Schnurspringen nach eigener Angabe)*. Tage später ersuchte ich sie, um Unterlassung derselben, da bei uns durch die Erschütterung der Wohnzimmerdecke die Türflügel an der Türe zwischen Küche und Wohnzimmer gegeneinander zu schlagen und im Mobiliar Gläser stark zu klirren begannen
. Bitte schicken Sie einen Sachverständiger vorbei.

* Habe übrigens nie behauptet, im Wohnzimmer Schnur zu springen, weil ich das nie tat. Machte ich immer im Hof und dachte einen Moment lang darüber nach, eine Unterschriftenliste jener Nachbarn zu organisieren, die das bezeugen konnten. Schlussendlich war mir das alles zu mühsam und ich leitete sein Schreiben und die „Beweisfotos“ von der Decke, ähm ich, zerstört hatte, kommentarlos an die Versicherung weiter.

Ende der Geschichte: Ich war nicht Schuld, das Haus steht immer noch (glaube ich jedenfalls) und das ganze Trara war umsonst. Danke für nichts.


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