Wenn du anderen von deiner Schwangerschaft erzählst, wirst du mit allerhand merkwürdigen Fragen konfrontiert.
Ist’s gewollt? – Ähm, ich bin 35, er 33 und in groben Zügen haben wir das mit der Verhütung verstanden.
Wie lange habt ihr probiert? – Willst du die Stellung, in der’s passiert ist, auch wissen?
Wann kommt das Baby? – Mitte soundso. – Nein, ich meine, an welchem Tag genau? – Wieso? Willst du bei der Entbindung dabei sein?
Wie viel hast du zugenommen? Du hast zugenommen, gell? Freuen sich die Großeltern? Hast du schon Angst vor der Geburt? Willst du einen Kaiserschnitt? Oder wirst du’s natürlich zur Welt bringen? Willst du stillen? Du willst schon stillen, oder? Wieso hast du so wenig Bauch? Wieso hast du so viel Bauch? Wollt ihr wissen, was es wird? Was, wenn’s Zwillinge werden? Wisst ihr schon, was es wird? Sagt ihr es, wenn ihr es wisst?
Gender-Reveal. Ich weinte, weil es ein Mädchen ist …
Eine meiner Highlight-Fragen: Wünscht ihr euch einen Buben oder ein Mädchen? Ich wusste nämlich bislang nicht, dass man sich das aussuchen kann. Und kann man tatsächlich eine Präferenz haben? Was, wenn es ein Bub wird, man aber gern ein Mädchen hätte? Oder umgekehrt? Und wenn sich der Bub später dazu entscheidet, lieber ein Mädchen sein zu wollen? Jedenfalls hatte ich mir vorab keine Gedanken darüber gemacht. Wissen wollte ich’s aber schon.
Nach dem Gender Reveal-Termin bei meiner Frauenärztin fing ich im Stiegenhaus ihrer Praxis zum Weinen an. Weil das Wunder in mir, das vor Kurzem noch ein kleiner, schwarzer Punkt war, wieder ein Stück realer wurde. Und ich weinte, weil es ein Mädchen ist – allerdings heulte ich nicht vor Freude.
Vielleicht hatte ich das mit der Verhütung verstanden, aber das mit der Verantwortung auch?
Mit einem Mal wurden mir die gesellschaftlichen Missverhältnisse umso bewusster. Das ist wie mit dem Kranksein. Wenn ich leide, leide ich – und zwar ordentlich. Das ist aber nichts im Vergleich dazu, wenn etwa mein Freund krank ist. Er hustet und ich bin kurz davor, die Rettung zu rufen. Er hat Fieber und ich sage: „Ich wünschte, deine Bürden würden auf meinen Schultern lasten.“ Und ich meine es so. Gleich verhält es sich, wenn jemand zu mir ungerecht ist. Tangiert mich, ärgert mich, macht mich wütend, lässt mich hilflos fühlen, die ganze Palette, ich werde dann auch zur Furie, aber wehe, es betrifft einen Menschen, den ich liebe. Das ist für mich kaum zu ertragen.
Und so fragte ich mich, als ich plärrend im Stiegenhaus stand, wie ich es einem kleinen Menschlein wie dem in meinem Bauch überhaupt zumuten konnte, in diese Welt hineingeboren zu werden, warum ich bislang viel zu wenig an der Sexismus-Front gekämpft hatte und wieso ich mir nicht davor ausreichend Gedanken gemacht hatte. Vielleicht hatte ich das mit der Verhütung verstanden, aber das mit der Verantwortung auch?
Ich überdachte mein eigenes Frauenbild. Was ist mir in meiner Rolle als Frau wichtig? Was nicht? Welche Stereotype bediente ich? Welche unbewusst, welche aus Bequemlichkeit, welche aus Sorge, zu sehr anzuecken? Über welche diskutierten Konventionen sollte ich mich mehr empören? Und was konnte ich dagegen tun? Mir fielen Momente ein, wo ich bestimmte Klischees vor Männern bewusst ausspielte, um es mir leicht zu machen – musste ich mich dafür schämen?
Wann und wie fängt Emanzipation eigentlich an?
Darf ich meiner Tochter überhaupt rosa Outfits (der Link dient vor allem den Großeltern als Inspo) anziehen? Da gibt’s so, so süße Teile. Ich will, ich will, aber dränge ich sie damit in ein bestimmtes Eck? Muss ich sie in Strampler mit Traktor-Aufdruck stecken, um ein Zeichen zu setzen und ja keine Klischees zu bedienen? Aber sind die Traktor-Strampler an einem Mädchen nicht auch schon wieder Klischee? Und müssen Buben Traktoren toll finden?
Dann fielen mir meine alten Spielsachen ein. Wie sehr hatte ich es geliebt, Barbie zu spielen. Stundenlang. Das geht heute nicht mehr mit reinem Gewissen. Weil Barbie ist zu schlank, zu schön, zu platt. Ich habe letztens Yoga-Barbie entdeckt, aber gibt’s auch eine mit Cellulite? Kaufmannsladen, Puppenküche, Staubsauger, der Styropor-Kügelchen aufsaugt, Prinzessinnen-Kostüm, … – ich will das für mein Kind und ich will das nicht.
Ich dachte an alle meine miesen Dates und noch mieseren Ex-Freunde und daran, was ich mit einem Kerl anstellen würde, würde er unsere Tochter auch nur ansatzweise blöd behandeln. Was wird sie sagen, wenn ich einem dieser furchtbaren Typen eine klatsche, weil er sich herablassend ihr gegenüber benimmt? Ich dachte an die alten, weißen Männer und daran, ob sie ausgestorben sein würden, wenn meine Tochter alt genug ist, das System, in dem sie lebt, zu reflektieren.
Ich will, dass sie tut, was sie glücklich macht …
Und wenn ich gerne länger als geplant bei meinem Kind zuhause bleiben will, wie mache ich das, damit niemand denkt, ich würde fremdbestimmt handeln? Übrigens lustig: Wenn ich sage, man möchte bald wieder in den Job einsteigen und in der Zeit übernimmt mein Freund, weil er sich das wünscht, kommt das auch nicht ganz so gut an bei den meisten. Oft auch nicht bei erfolgreichen Frauen, die einen eigentlich verstehen und supporten müssten. Es verwirrt.
Vieles ist mir noch unklar. Vieles werde ich vermutlich erst in konkreten Situationen für mich, für sie, für uns beantworten können. Vieles werden wir zusammen herausfinden – und fix immer wieder scheitern. Was ich aber definitiv weiß: Ich will nicht, dass meine Tochter sich auch nur einmal selbst oder ihren Weg hinterfragt, weil sie ein Mädchen ist. Ich will, dass sie das tut, was sie glücklich macht – wurscht, ob’s in die gesellschaftlichen Normen passt oder nicht, im Tutu, Blaumann oder Unisex-Jogger. Ich möchte, dass sie mutig ist, um aufzustehen, wenn ihr etwas nicht passt und für ihre Werte einsteht – Prinzipien, die ihr niemand aufdrängt, sondern sie für sich selbst findet.
Noch mehr starke Frauen braucht die Welt. Und sie soll eine davon sein.
Doris Zöger
Unfassbar toll geschrieben!
Und don’t panic: du lebst ihr vor, was du denkst und fühlst, ob du willst oder nicht…und bei den Gedanken in diesem Text kommt da die nächste tolle Frau auf uns zu😊
Kathi
Super gut geschrieben, so habe ich auch gedacht wie wahrscheinlich alle Mütter. Deine Tochter wird bestimmt eine Räubertochter und da is wurscht was sie trägt.:)
Ana Römer
Herzlichen Glückwunsch! Dir und Deinem Partner. Ihr werdet ein tolles, selbstbewusstes Mädchen in die Welt begleiten und jederzeit unterstützen. Hab Vertrauen in Euch und in Deine Tochter. Als Mutter von zwei Jungen und zwei Mädchen, die inzwischen alle erwachsen sind, sage ich Dir, dass Du sowieso nur unterstützend daneben stehen kannst. Sie wird Dir schon zu Erkennen geben, ob sie lieber mit Barbies oder mit Autos spielt. Und dann lässt Du sie halt. Wenn sie später keine rosa Sachen mehr tragen mag, wirst Du es merken und dann nichts mehr in der Farbe kaufen. Die Mädchen stark und selbstbewusst machen, sie nie anders behandeln als ihre Brüder, das war immer meine Maxime. Und das hat, glaube ich, ganz gut geklappt.
Ich wünsche Dir alles Gute!Genieße Deine Schwangerschaft, ohne Kopfzerbrechen!
Coco
Hallo,
Du darfst deinem Kind alles kaufen was du willst, nutze die Chance. 😅
Spätestens mit 3/4Jahren sagen sie dir was sie wollen. Manche machen das dann lauter, manche leiser. Wichtig ist es, da genau zuzuhören und den Wünschen zu folgen. Egal ob Bagger oder Barbie, oder vllt einfach auch beides :-).
Bei uns steht eine Werkbank und ganz viele Glitzereinhörner, Kleidung ist hauptsächlich Pink und Blau.
Alles Gute!