Mein Freund, der Verräter. Oder: Meditation für „Profis“

Zwei Stunden zuvor im besagten Kurs. Jetzt am Programm: Meditation. „Wenn man entspannt ist, geht alles leichter“, erklärt die Workshop-Leiterin. Klingt logisch. Bin dabei. So ein bisschen Tiefentspannung und Achtsamkeit kann nie schaden – bei der Geburt, im Job und wenn man am Klo sitzt, aber alle drei Sekunden die Tür aufgeht, weil irgendwer was braucht: Der Freund die Autoschlüssel, der Hund Leckerlis, ganz dringend und zwar JETZT, und das Bonuskind jemanden, dem’s das ABC aufsagen kann. Also Augen zu und Kopfkino an.

Wir stellen uns vor, wie wir barfuß durch nasses Moos wandern. Ich ziehe meine Zehen hoch und meine Füße verkrampfen. Ist mir zu gatschig. Viel lieber mag ich das Bild von mir am Strand. Die Sonne, die mir auf den dicken Bauch scheint, die Wellen, die meine Beine umspielen. Kurz hängt’s mich gedanklich dann aber doch aus: Mir passt mein Bikini-Oberteil momentan fix nicht. Wieso hab ich mir kein neues besorgt? Gut, wie konnte ich wissen, dass ich so spontan ans Meer fahren würde? Oh Mann, wird mir das Oberteil überhaupt je wieder passen? Wurscht, im schlimmsten Fall muss ein neues her. Zurück ins Wasser, zurück in die Entspannung. Ich hänge die Sache mit dem Outfit in Gedanken an eine große, weiße Wolke, puste vier Mal in die Luft und schon zieht sie davon. Samt Oberteil. Besser so. Da schneidet nichts ein.

Also noch einmal: Die Sonne, die mir auf den dicken Bauch scheint, die Wellen, die meine Beine umspielen. Herrlich. Ich merke, wie ich innerlich tatsächlich mehr und mehr loslasse. Und ich merke, wie mein Freund neben mir schnarcht.

Schläfst du schon oder bist du noch tiefenentspannt?

„Schläfst du?“, zische ich und versuche, meine Lippen dabei möglichst nicht zu bewegen, sodass die Vortragende nichts merkt.
Keine Antwort. Natürlich schläft er. Glück hat er auch noch, weil ich vor Beginn der Meditation das Mikro auf stumm geschalten habe. Gibt’s das? Mein Freund pennt, während es darum geht, uns auf Tag X ordentlich vorzubereiten. Das geht so nicht. Das verbiete ich mir.

„Hey“, zische ich noch einmal. Dieses Mal etwas lauter.
Nichts.
„Ich zähle jetzt bis fünf. Bei fünf öffnest du langsam die Augen und fühlst du dich wieder frisch und munter“, leitet die Vortragende an, „Eins und zwei und drei und vier und fünf.“
Ich steige meinem Freund auf den Fuß.
„Aïe!“
„Nix aïe! Du hast geschlafen.“
„Stimmt nicht.“
„Stimmt wohl.“

„Und wie habt ihr euch bei der Meditation gefühlt, Katharina?“, fragt die Workshop-Leiterin.
„Ich mochte das Bild vom Strand sehr“, sage ich.
„Streberin“, flüstert mein Freund.
„Und was hat dir am besten gefallen?“, übergebe ich das Wort an meinen Freund. Das hat er jetzt davon. Na, wie wurstelt er sich da jetzt raus?

„Ich habe meine eigene Meditation gemacht.“

Jede:r würde in diesem Moment vor Scham vergehen. Er nicht.
„Ich meditiere ja sehr viel“, holt er aus. Bitte wie? Wann, außer nie? „Und daher habe ich meine eigene Meditation gemacht.“
„Aha“, wirkt die Vortragende interessiert, „Magst du mir mehr erzählen?“
„Ich habe mir über die Jahre eine bestimmte Bildabfolge angeeignet, die ich vor meinem inneren Auge abspiele. Wolken, Buchstaben, Berge, Zahlenkombinationen.“ Bitte, was schwafelt er?
„Sehr spannend“, kommentiert die Leiterin des Workshops und scheint es auch so zu meinen.
Die anderen Teilnehmer:innen kommentieren mit „Ohhh“ und beeindruckenden Nicken.
„Katharina, du hast ein so großes Glück. Da wird er dir für die Geburt bestimmt eine ganz persönliche Meditation zusammenstellen.“
„Sicher“, antworte ich, „Ich werde bestimmt so entspannt sein, dass ich aufpassen muss, die Entbindung nicht zu verschlafen …“

Alle lachen. Ich atme. Falsch.

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